Conny und Matthias um die Welt

Evos Baby

Kein Kopfschmerz, kein Schwindel, keine Atemnot. Als wir am Flughafen von La Paz auf 4100 Meter Höhe landen, geht es uns gut. Es ist der höchstgelegene internationale Flughafen der Welt. Die fast zwei Monate, die wir in großen Höhen verbracht haben, zeigen ihre Wirkung. Ich fühle mich ein bisschen als könnte ich Bäume ausreißen, insbesondere im Vergleich zu den Touristen, die direkt aus niedrigeren Höhen einreisen. Nun ja, ich nehme trotzdem lieber den Gepäckwagen für unsere beiden Rucksäcke (Conny kann ihren ja noch nicht tragen).

Der Flughafen liegt in El Alto (zu deutsch „der Hohe“), einem eigenständigen Ort, der aber mit La Paz zu einer riesigen Stadt verwachsen ist. Hier oben leben mittlerweile mehr als eine Million Menschen. Und ab und zu schneit es hier auch mal. Die Landebahn in El Alto ist extra lang, weil die Luftreibung geringer ist und Flugzeuge daher länger zum Starten und Landen benötigen. Piloten brauchen hierfür eine Zusatzausbildung.

Wir wohnen unten im Zentrum von La Paz, im 10. Stock eines der vielen Hochhäuser. Der Taxifahrer meint, das sei das „kleine New York“. Und tatsächlich ist es hier viel internationaler als in Sucre. Gleich nach Amtsantritt wollte der Präsident Morales La Paz zur Hauptstadt machen. Aber die Einwohner Sucres gingen auf die Straße und protestierten. Der Konflikt eskalierte, so dass Evo Morales seine Idee verwarf und La Paz nur Regierungssitz bleibt. Unweit unserer AirBnb-Wohnung befinden sich einige Botschaften, und dazu passend gibt es Restaurants diverser internationaler Küchen. Wir probieren chinesisch und mexikanisch und werden nicht enttäuscht.

Für unsere erste Aktivität führt es uns zurück nach El Alto zum berühmt-berüchtigten Cholita-Wrestling. Cholitas sind indigene Frauen mit traditioneller Kleidung in Bolivien. Um zu beweisen, dass sie den Männern in nichts nachstehen, haben sie irgendwann einmal angefangen gegeneinander zu kämpfen. Heutzutage ist das Cholita-Wrestling eine äußerst skurrile Show für Einheimische und Gringos. Als dann die männlichen Schiedsrichter auch noch in den Kampf ein- und eine der Frauen angreifen, muss man sich wirklich immer wieder einreden, dass hier nur gespielt wird. Am Ende sind alle gut gelaunt und die Zuschauer johlen.

Am nächsten Morgen fahren wir zum ersten Mal mit der Seilbahn. Wir sind sofort angetan vom Lieblingsprojekt von Präsident Evo Morales. Es gibt mittlerweile acht farbige Linien und drei weitere sind im Bau. Bei den steilen Hängen der Stadt ist das ein genialer U-Bahn-Ersatz. Eine österreichische Firma ist verantwortlich für den Bau, deshalb steigen wir ganz ohne Sorgen ein. (Nicht so wie im Iran, wo es zwar auch österreichische Lifts waren, aber gefühlt mehr als 50 Jahre alt.) Die Einheimischen sind allerdings etwas skeptischer und danken Gott für die sichere Ankunft an der Bergstation. Die Ausblicke der „Linea morada“ (lila Linie) auf dem Weg nach El Alto sind grandios. Im Hintergrund sieht man schneebedeckte 6000er, unten das Meer an Häusern, häufig in ziegelrot ohne Putz. Später fahren wir auch noch grün, gelb, rot, hellblau und dunkelblau. Jedesmal gibt es einen anderen Blick und andere Dinge am Boden zu entdecken. Die supermodernen Stationen erinnern uns an Skigebiete in den Alpen und wirken reichlich deplatziert. Nur der Pistenplan fehlt. 🙂 Taxifahrer bestätigen uns, dass insbesondere zu den Stoßzeiten, wenn viele Arbeiter zurück ins billigere El Alto müssen, der Autoverkehr deutlich abgenommen hat seit es die Gondeln gibt.

Von diesem Projekt einmal abgesehen sind die meisten Menschen, mit denen wir reden, enttäuscht von Evo Morales. Zum einen hatten sie sich einen schnelleren Wirtschaftsaufschwung erhofft. Zum anderen nimmt er es mit der Demokratie nicht so genau. Nächstes Jahr stehen die Präsidentenwahlen in Bolivien an. Und eigentlich dürfte Evo Morales nicht mehr antreten. Nach der Verfassung, die er selbst verabschiedet hat, darf der Präsident nur zwei Amtszeiten regieren. Die aktuelle Amtszeit ist aber schon die dritte, die zweite nach der neuen Verfassung. Aus diesem Grund hat Evo, wie er hier nur genannt wird, eine Volksabstimmung abgehalten, ob er erneut antreten könne. 51% haben NEIN gestimmt, aber das macht ja nichts. Die Frage war schwierig, schlecht formuliert, eigentlich wollen die Leute ihn wiederwählen. In Europa würde man Evo Morales wohl einen Populisten nennen, mit seinem Hang zur Verstaatlichung und seiner sehr breiten Auslegung der Wahrheit. Hugo Chavez lässt grüßen, und viele Bolivianer haben Angst, dass Bolivien wie Venezuela endet.

Man muss Morales aber auch zu Gute halten, dass er einiges erreicht hat, insbesondere für die indigene Bevölkerung, der er ja selbst angehört. Früher wurde Indigenen der Zugang zu bestimmten Orten verwehrt. Heute hängen überall Schilder mit der Aufschrift „Todos son iguales ante la ley“ (Alle sind gleich in den Augen des Gesetzes). Es ist nachvollziehbar, dass besonders Indigene ihn wieder wählen wollen. Ob man aber zwingend die Chefposten von staatlichen Institutionen mit Vertretern der indigenen Bevölkerung besetzen muss, die nicht richtig lesen oder schreiben können, ist mindestens fraglich.

Auch wenn einzelne Bolivianer das wenig spüren, wirtschaftlich hat sich Bolivien nach vorn bewegt. Die Armut ist enorm zurück gegangen, und durch die teilweise Verstaatlichung der Rohstoffgewinnung sind die Staatseinnahmen deutlich gestiegen. Es gibt neue Überlandstraßen und eben die Gondeln in La Paz. Das ein oder andere ausländische Unternehmen hat sich aus Bolivien aber wieder zurückgezogen, weil die Verstaatlichung drohte. Zum Beispiel Amazon. So schafft man natürlich kein gutes Investitionsklima.

Da Bolivien fast nichts selbst produziert, besteht eine große Diskrepanz zwischen den Preisen für Waren, die auf dem Weltmarkt eingekauft werden müssen und den Löhnen im Land. Ein Friseurbesuch kostet zum Beispiel nur 20 Bolivianos (2,50 Euro). Das Shampoo kostet ähnlich wie bei uns drei Euro und mehr. Da bleibt für den Friseur nicht mehr viel Lohn übrig. Obwohl Shampoo hat „mein“ Friseur gar nicht benutzt, denn Gewaschen wird nicht. Dafür gibt es eine Feuershow mit Flammenwerfer mit dem die Schnittutensilien desinfiziert werden. Zum Glück hat mein Haar nicht Feuer gefangen, und ein bisschen Bart stutzen war auch noch drin.

An unserem letzten Tag entdecken wir per Zufall doch noch eine richtige „Hexenstraße“. Hier kann man sich bei Heilerinnen mehr Geld, bessere Gesundheit, mehr Erfolg im Geschäft oder Liebe hexen lassen. Zum Abschluss fahren wir die dunkelblaue und rote Gondellinie: zum Sonnenuntergang hoch über den Straßen von El Alto und wieder hinab über die Dächer von La Paz. Wir finden jede Stadt, nicht nur in Bolivien, sollte solche Gondeln haben. Beim Beobachten des hektischen Treibens von oben sind wir Evo ein bisschen dankbar für sein Prestigeprojekt.

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