Conny und Matthias um die Welt

Hoch, höher, Bolivien!

In den Legenden der indigenen Bevölkerung heißt es, dass sich die Energien der höchsten Gipfel der Himalajaregion auf die Anden übertragen haben. Auch uns lassen die Berge nicht los. Wir entscheiden uns für eine Tour in die Andenregion Boliviens – genauer gesagt in das Altiplano, eine riesige Gebirgspfanne auf 3000 bis 4000 Metern.
Vor einer Fahrt in die Berge bitten die Nachfahren der Inka die Berggeister um Schutz. Sie opfern Coca, hochprozentigen Alkohol und manchmal auch Lamas. Wir bereiten uns auch vor – nur etwas anders. Wir übernachten vor unserer Tour für mehrere Tage auf knapp 3000 Metern, gehen jeden Tag Wandern und machen Sport. Wir wollen die vier Tage schließlich genießen und uns nicht mit Erbrechen und Kopfschmerzen quälen.

Dann geht es endlich los. Früh am Morgen steigen wir zusammen mit dem Fahrer und Guide Willy, unserer Köchin Norma und zwei Franzosen in unseren Jeep. Und von knapp 3000 Metern geht es flott bergauf. Dann wieder herunter, dann wieder bergauf. Und zwar mit vielen Kurven. Für Leute mit Reisekrankheit ist das schon mal nix. Wir sind ausgestattet und können Fanny und Raffael, unseren französischen Mitreisenden, mit unserer Reiseapotheke helfen. Wobei es die beiden besonders mitgenommen hat, denn es trifft Reiseübelkeit auf Magen-Darm. Im Gegenzug revanchieren sich die beiden mit Coca-Blättern gegen Höhenkrankheit bei uns. Denn ab 4000 Metern merken wir leichte Kopfschmerzen und fühlen uns etwas benommen, ohne jegliche Anstrengung. Nur vom Sitzen im Jeep. Geht es wieder unter 4000 Meter, fühlen wir uns wieder besser. Unser Guide hat gegen die Höhe ein Öl zum Riechen und Tigerbalsam mitgebracht. Und den Tipp, mehr durch die Nase zu atmen, um weniger Luft in den Magen zu pumpen. Am ersten Tag erreichen wir für einen Ausblick 4900 Höhenmeter und übernachten auf 4160 Metern. Wir schlafen unruhig und haben Alpträume.

Am nächsten Morgen geht die Fahrt sehr früh und ohne Dusche weiter. Es wird der für uns schönste Tag mit wunderschönen grünen, blauen und bunten Lagunen, Flamingos, Lamas, kamelartigen Vikunjas und heißen Thermalquellen zum Aufwärmen. Denn auch wenn die Sonne scheint, weht ein eiskalter Wind. Von nachts teils -10 Grad bis 20 Grad tagsüber wechseln wir ständig unsere Klamotten und ziehen Schichten an und aus. Die Tiere in den Anden haben sich an diese Wechsel angepasst. Die Vikunjas zum Beispiel haben ein ganz feines, dichtes Fell und gebären ihre Kinder immer tagsüber, damit sie in der Sonne trocknen können. Nachts und nass würden die Jungtiere erfrieren.
Auch unsere Körper adaptieren sich erstaunlich schnell. Am zweiten Tag wird uns nur noch ab 4500 Metern schummrig. Die Coca Blätter helfen super. Es sind getrocknete Blätter vom Cocastrauch aus dem auch Kokain hergestellt wird. Man nimmt ein getrocknetes Blatt, kaut es kurz an und legt es dann innen an die Wangenschleimhaut. In dem Bereich wird die Schleimhaut ein bisschen taub und recht schnell danach spürt man die anregende Wirkung. Die Konzentration steigt und auch die Euphorie. Nicht schlecht bei einer Tour. Coca soll außerdem in der Höhe die Sauerstoffaufnahme im Blut verbessern und sogar Hungergefühl unterdrücken können. Bei mir sind die Blätter ratzfatz weg, Matthias lutscht länger. Wir kauen so circa 10 Blätter pro Tag. Keine Angst, abhängig wird man von solchen Mengen Kokain nicht.

Am dritten Tag geht es langsam wieder in tiefere Regionen. Tiefer heißt: nur noch um die 4000 Meter. Wir klettern auf kleine Felsen und laufen ein Stück durch die kargen Landschaften. Diesmal mit einer schwarzen Lagune. Von der Höhe merken wir gar nichts mehr. Wir fühlen uns sogar prächtig genug, um ein Kaktus- und ein Cocabier zu probieren. Hmmm. Beide sind sehr lecker. Die letzte Nacht verbringen wir in einem Hostel aus Salz mit Salzbetten und Salzwänden.

Am Morgen klingelt der Wecker 4.45 Uhr. Im Zimmer und draußen ist es eiskalt, geduscht haben wir am Vorabend. Drei von uns hatten eine heiße Dusche, für Raffael hatte das warme Wasser im Boiler nicht mehr gereicht. „Es war die schlimmste Dusche meines Lebens.“, kommentiert er. Aber jetzt müssen wir los, denn wir wollen zum Sonnenaufgang in der größten Salzwüste der Erde sein. Unser Fahrer Willy rast mit 110 km/h im Morgengrauen über die Salzwüste. Zwischendurch schaltet er immer mal die Scheinwerfer aus, um die Fahrtrichtung zur Insel in der Salzwüste zu finden. Und da wir ganz nah am Vulkan Tunupa sind, bitten wir Willy nach dem Sonnenaufgang um ein Extra. Wir würden gern noch den Vulkan hochklettern, um die Salzwüste in ihrer ganzen Ausbreitung zu sehen. Den Gefallen tut Willy uns gern. Und so fahren wir mit dem Jeep auf 4000 Meter. Norma, die Köchin, bittet am Anfang des Treks die Berggeister um Schutz und legt Cocablätter an den Wegesrand. Denn dafür ist Coca auch da. Ja, die Bolivianer lieben ihr Coca. Es ist ein wesentliches Element in den indigenen Ritualen und soll außerdem nicht nur bei Höhenkrankheit helfen, sondern auch bei Rheuma und bei Schmerzen aller Art. Auch Shampoo, Zahnweißer, Lippenstift, Pomade, Bier, Rum und Kekse sind in Bolivien mit Coca erhältlich. Und Coca Cola, die ist aber ohne Coca.

Der Anstieg zum Vulkan ist recht steil, jetzt merken wir, dass sich die Energien des Himalaja tatsächlich in die Anden verirrt haben. Wir haben keine Kopfschmerzen, fühlen uns nicht schwach. Aber wir hecheln ganz schön. Willy, unser Guide, joggt den Berg hinauf. Und lacht dabei. Er ist so sehr an die Höhe angepasst, ich würde ja gern mal wissen, wie dick sein Blut ist. Die Vikunjas haben hier auf diesen Höhen besonders viele rote Blutkörperchen und ein großes Herz, um das Blut gut umzuverteilen. Die Anden-Kolibris haben sich auch angepasst. Sie trinken den Nektar der Blüten nicht im Flug, sondern setzen sich auf einen Ast. Die dünne Luft und der schnelle Flügelschlag würden zu viel Energie verbrauchen. Bei knapp 4500 Metern Höhe befindet sich der Aussichtspunkt am Vulkan. Wir können von links nach rechts bis zum Horizont Weiß sehen. Die größte Salzwüste der Welt namens Uyuni. Wahnsinn.

Hier oben erzählt uns Willy, wie diese Salzwüste entstanden ist. Einer Legende nach lebte an dieser Lagune eine Frau namens Tunupa mit ihrem Mann Kusku. Tunupa und Kusku waren und sind heute Berge am Rande der Salzwüste. Kusku, der Mann, ging oft fremd. Die Frau Tunupa aber hatte vier sehr kleine Kinder mit ihm. Eines Tages war Kusku wieder bei einer seiner Freundinnen, daher weinte Tunupa bitterlich. Da kam göttliche Hilfe und sagte: Weine nicht, du bist eine gute Frau. Gib nur ein wenig deiner Muttermilch in den See. Morgen, du wirst sehen, wird dir Gutes widerfahren. Tunupa weinte unaufhörlich, aber tat wie ihr geheißen und gab Muttermilch in den See, die sich mit ihren Tränen vermischte. Und so kam es, dass am nächsten Tag die Lagune weiß war. Verwandelt in eine riesige Salzwüste.

Diese Legende gibt es in unzähligen Variationen. Aber alle Versionen haben gemeinsam, dass die Berge göttlich sind. Und dass sie Macht besitzen. Wir sind froh, dass uns die Anden und deren Geister auf unserer viertägigen Tour wohlgesonnen waren. Vielleicht wegen des Cocas am Wegesrand…

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