Drei Uhr morgens. Mehrere Handy-Wecker klingeln. Es ist Tag drei auf 4000 m, Tag fünf des Treks. Nur die Nase schaut raus aus meinen drei Schlafsäcken: ein Hüttenschlafsack in meinem 5-Grad-Schlafsack, der wiederum im Schlafsack des Tour-Anbieters. Das Ganze auf einer dünnen Matte auf Holz. Meine Hose und Fleece sind auch im Schlafsack, um sie vorzuwärmen. Trotzdem am besten jetzt so schnell wie möglich alles anziehen und in die Bergschuhe, damit die Skisocken nicht kalt werden. Ich stapfe aus der unbeheizten Hütte durch den frisch gefallenen Schnee zum Plumpsklo. Dem Knirschen des Schnees zufolge schätze ich die Temperatur auf -15 Grad. Unsere Transport-Dzos (Kreuzung aus Yak und Kuh) müssen auch übel gefroren haben diese Nacht, von den Pferden der anderen Gruppen ganz zu schweigen. Am Klo angekommen sieht man hier zum Glück weniger die Vielfalt menschlicher Exkremente als zuvor und riechen kann man sie auch weniger bei der Kälte. Gott sei dank ist der Himmel klar, der Vollmond taucht die Riesen des Himalaja in einen blauen Schein. Euphorie macht sich in mir breit und erwärmt mich, denn wenn es jetzt klar ist, werden wir den Sonnenaufgang sehen und danach an unserem Ziel gutes Wetter haben.
Fast jeden Tag gibt es das gleiche Schauspiel. Morgens ist schönes Wetter, die Höchsttemperatur des Tages wird gegen zehn Uhr erreicht, der Schnee schmilzt, danach wird es wieder kalt und es schneit wieder. Unser Koch bereitet uns ein kleines Frühstück mit Brei und Tee zu, dann geht es los durch das Tal Richtung Goecha-La, dem höchsten Punkt unserer 8-Tages-Tour. Über gefrorene Bäche stapfen wir durch den Mondschein, eine Lampe braucht man nicht. Es wird langsam heller, und wir sehen schon die schneebedeckten Spitzen des Kangchenjunga, des dritthöchsten Berges der Welt. Irgendetwas ist anders als noch zwei Tage zuvor. Es fehlt die Euphorie, keine Tränen in den Augen wie auf dem Dzongri-Aussichtspunkt, wo plötzlich die Bergkette erschien und man erschlagen war von der Schönheit dessen, was man da erblickte. Hier zeigen sich die majestätischen Berge langsamer, und es ist mir ein bisschen mulmig. Es warten noch ein paar hundert Höhenmeter und zwar deutlich über 4000 m. Die Luft ist dünn und wenn man es zu schnell angeht, dann bekommt man Kopfschmerzen und schafft es am Ende vielleicht nicht vor dem Eintreffen der Wolken zum Ziel.
Nach dem Sonnenaufgang und gefühlt 200 Fotos wird es ziemlich steil. Ich fühle mich gut, aber dann merke ich, es bringt nichts sich zu beeilen, der Guide namens Budda wartet immer wieder auf den Rest der Gruppe. Ich wundere mich ein bisschen, dass ich der Erste bin hinter dem Guide. Unsere beiden Spanier, Entschuldigung, ein Spanier und ein Katalane sind eigentlich die Fittesten. Juan ist Ultra-Marathon-Läufer, aber Jordie hatte die Höhenkrankheit die letzten Tage. Als die Sonne das Tal in ein glitzerndes Weiß taucht, drehen die beiden auf und überholen uns. Ich merke, ich kann nicht mehr mithalten und ordne mich hinter Conny ein, die die letzten Tage schon immer ein Tempo angeschlagen hat, das für mich genau richtig war. Ein paar Minuten nach dem Guide und den Spaniern und noch vor dem jungen Inder Vicky erreichen wir total erschöpft den Aussichtspunkt. Kurz durchatmen, dann schnell die Kamera raus. Oder doch erst den massiven Hunger mit dem Lunchpaket stillen? Egal. Es muss schnell gehen, die Wolken aus dem Tal können jederzeit eintreffen. Nachdem die Bedürfnisse erfüllt sind, staunen wir über dieses Wunder der Natur, was sich vor uns präsentiert. Nur wenige Kilometer sind wir jetzt vom Kangchenjunga entfernt, nur das der mit 8585m noch vier Kilometer höher ist. Das GPS mit Geoid-Korrektur zeigt unsere Höhe mit 4620m an. Höher geht es nicht, ab hier ist Sperrzone. Ich bin stolz, es ohne Höhenprobleme hierher geschafft zu haben und suche mir total müde einen Stein auf dem ich mich niederlassen kann. Ich schlafe kurz im warmen Sonnenschein ein. Dann kommen die Wolken, einer von uns hat es nicht geschafft. Suresh, der andere Inder, ist 56 Jahre alt und einfach etwas zu langsam. Schade für ihn.
Auf dem Weg nach unten gehen mir noch einmal die Erlebnisse der letzten Tage durch den Kopf. Der lange Weg von unserem Startpunkt auf 1750m, wie Conny von einem wilden, schwangeren Yak vom Weg geschubst wurde (nun ja, sie hatte sich ja auch wilde Yaks gewünscht), die Gewöhnphase an die Plumpsklos, bei denen nicht immer alle ins Loch getroffen haben, die Katzenwäsche mit eiskaltem Bachwasser, der blühende Rhododendron auf dem Weg unterhalb von 3500 m, das leckere Essen, das unser Begleitteam für uns aus allem zauberte, was die Dzos getragen haben (sogar Schokoladenkuchen gab es im Himalaja), die schönen Ausblicke jeden Morgen, die ausgelassene Stimmung in unserer Gruppe von sechs Leuten, von denen wir zusätzlich mit herrlicher spanischer Wurst und italienischem Käse verwöhnt wurden, aber auch die Kälte, sobald man zur Ruhe kommt, egal wie viel man da anzieht. Lange hatten wir uns kuriert und gewartet, um diesen Trek erleben zu dürfen. Nun sind wir gespalten zwischen der Wehmut, dass der Trek bald vorbei ist und der Vorfreude auf eine warme Dusche und ein weiches Bett.
Fünf Tage später auf dem Flug nach Varanasi. Es hat ein bisschen gedauert, aber das frühere Bergkönigreich Sikkim hat uns fasziniert, mit der atemberaubenden Natur, die sich allzu oft im Nebel versteckt, mit den buddhistischen Klöstern, mit seinem leckeren, tibetisch-nepalischem Essen, mit seinen freundlich-zurückhaltenden, ostasiatisch aussehenden Einwohnern, mit der Sauberkeit (für indische Verhältnisse), mit den wenigen Touristen, mit der Ruhe und der klaren Bergluft. Sikkim, eingequetscht zwischen Nepal und Bhutan, fühlte sich so ganz anders an als das Indien, was wir zuvor erlebt haben.
Arne Rossberg
April 9, 2018 — 6:48 am
Tolle Fotos! Es war schön ein Teil Eurer Sikkim-Reise zu sein. Wir sind mittlerweile schon wieder im Alltag angekommen. Zum Glück wird endlich das Wetter besser! Liebe Grüße und weiterhin viel Spaß, Arne
Conny
April 10, 2018 — 2:43 am
Vielen Dank! Und wir halten deine deutschen Taschentücher in Ehren! 😁
Liebe Grüße nach Hannover
HL
April 9, 2018 — 9:02 am
Danke für die wunderschönen Bilder. Man kann die Kälte selbst beim Anschauen förmlich fühlen…. Aber trotzdem fantastisch. Weiterhin gute Reise!!!
Hannelore
Conny
April 10, 2018 — 2:49 am
Ja, es war sehr kalt. Die Zehen sind zwar noch dran, aber meine großen Zehen sind immer noch taub… Aber das gibt sich bestimmt in den nächsten Tagen.
Jetzt schwitzen wir erstmal wieder bei 37 Grad im Schatten. Vorher hätten wir euch ja ein bißchen Wärme abgegeben. Aber der Frühling hat es ja nun auch endlich mal nach Deutschland geschafft…
Liebe Grüße nach Leipzig
Dorothea Schulz
April 10, 2018 — 12:48 am
Nochmal liebe Grüße aus Kolumbien!
Da habe ich mich ja mächtig verschätzt, bin sehr fasziniert von den Fotos und von eurem Mut zu der Tour.
Wünsche euch alles Gute für den vermututen Varanasi-Kulturschock. Jetzt also wieder richtig volle Pulle Indien!
Conny
April 10, 2018 — 2:52 am
Vielen Dank. Wenn wir kurz vor Südamerika sind, dann möchten wir gerne ein paar Tipps.
Und ja, wir haben einen Kulturschock ohne das Land gewechselt zu haben. 🙂
Liebe Grüße nach Kolumbien 🇨🇴
Gabi und Frank
April 12, 2018 — 7:37 am
Hallo, Liebe Conny und lieber Matthias, das war ja wieder ein mitreisender Bericht und natürlich herrliche Bilder. Ich kann mich richtig gut hineinversetzen und freue mich riesig für Euch. Von diesen Erlebnissen könnt Ihr bestimmt ein Leben lang zehren Ich habe mich, was die erreichte Höhe betrifft, natürlich total verschätzt. unsere höchste waren ca. 4000 m, in den Anden und da ging es uns ziemlich mies. Selbst 3600 m am Titicacasee waren gewöhnungsbedürftig. ich finde auch die Temperaturunterschiede krass, die Ihr so durchlebt. Bei uns ist jetzt zum Glück auch Frühling, langsam wird es grün. Ich habe mir leider nun doch noch eine unangenehme Erkältung geholt und bin deshalb zu Hause. Geht hoffentlich bald vorbei. Wir wollen doch nächste Woche nach Hamburg, haben Karten für die Elbphilharmonie. Euch weiterhin das allerbesten, viel Spaß und Freude! Gabi mit lieben Grüßen von Frank
Conny
April 21, 2018 — 9:28 am
Liebe Gabi, lieber Frank,
Ich hoffe, die Krankheit ist Geschichte und dir geht es wieder gut.
Gut gefällt mir, das Wortspiel „mitreißend“ und „mitreisend“. Denn ihr Leser seid ja alle mitreisend. 🙂
Genießt den Frühling. Und bis bald.
Liebe Grüße aus Pulau Weh 🇮🇩
Tinka
April 19, 2018 — 1:18 pm
So schön, eure Bilder zu sehen und die Berichte zu lesen!
Gerade sitzen Jasper und ich im Garten unterm Kirschbaum, trinken Kaffee bzw. Kakao und haben uns lange die Bilder angeschaut. Jasper plant nun unseren nächsten Familienurlaub…
Wir wünschen euch noch viele spannende Erlebnisse, schöne Aussichten, nette Begegnungen und eine tolle weitere Reise!
Conny
April 21, 2018 — 9:39 am
Liebe Tinka, lieber Jasper,
Schön, dass die Bilder euch gefallen. Wann geht’s denn los in den Himalaja? 😉
Wir haben für edukative Zwecke jetzt neu eine Weltkarte erstellt. Oben im Menü. Da kann man immer gucken, wo wir sind.
Liebe Grüße aus Pulau Weh 🇮🇩 nach Naunhof