In Indien ist man nie allein. Wo man in Deutschland noch in die Berge, an einen See, in den Wald flüchten kann, funktioniert das hier im Land nicht. 1,3 Milliarden Menschen leben in diesem Land. Halt. Stopp. 1, 3 Milliarden. So viele leben nicht einmal auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Entweder man mag immer Menschen um sich oder man braucht auch mal seinen Freiraum so wie ich. Geht aber nicht, denn auch bei jedem Sonnenuntergang auf einem Hügel oder auf der Wiese in einem Park bleibt man nicht lang allein.
Es folgt eine typische Szene, die jeder kennt, der schon in Indien war, mit folgender Konversation:
„Hello. What you name?“
„My name is Conny. And your’s?
“Vijay/ Anand/ … You country?”
“Germany.”
“Good bye.”
Diese Szene kann sich ungelogen bis zu 30 Mal und mehr an einem Tag wiederholen, je nachdem wo man langläuft und wie oft dort ein weißer Tourist vorbei kommt. Es ist nett gemeint, die Inder meinen das höflich, und die Kinder wollen gern ihr Englisch ausprobieren. In den ländlicheren Regionen rufen die Kinder uns nur noch Hello hinterher. Die Erwachsenen auf dem Land trauen sich nicht mehr uns anzusprechen, eher ein schüchterner Blick oder ein intensives Starren teilweise auch körperlich für Europäer zu nah. Das führt dann zu witzigen Situationen, wenn ich Frauen in knallbunten Saris mit unglaublich viel Silberschmuck anstarre und sie mich (mit meiner hellen Haut und ohne irgendwelchen Schmuck) anstarren. Irgendwie gerecht, da hat jeder was zu gucken.
Aber allein sein und Untertauchen ist nicht. Selbst im Hotel… Ich habe mir allein (!) einen Pfannkuchen mit Schokolade bestellt, vor mich hingeträumt und den Blättern in einem Baum zugeschaut. „What are you thinking?“ Herrje. Indien, du forderst mich heraus. Mit Absicht haben wir uns kein einsames Schloss auf einem Hügel mit 14 Zimmern für 300 € die Nacht gemietet. Wir wollen uns ja nicht aus der Affäre ziehen. Wir buchen eine Wüstensafari.
Früh am Morgen fährt uns ein Jeep in die Wüste bis zum Kamelpunkt. Dort wird jedem ein Tier zugeteilt, Matthias und ich sind heute die einzigen Touristen, und es wird aufgesattelt. Wir bilden eine Karawane, das vorderste Kamel mit dem Guide Tadu und seinem Neffen, dann Matthias, dann ich mit meinem jungen, wilden Kamel, was gerne mal überholt. Die Wüstensonne donnert auf uns herab, es sind locker 37°C im Schatten. Die Kamele sind jetzt nur noch am Trotten. Wir sehen einen Wüstenfuchs, Antilopen und viele Vögel.
Dem Neffen unseres Guides, den ich so auf 12 Jahre schätze, ist schwindlig und er hat Kopfschmerzen, trotz Basecap und dunkler Haut. Er bekommt Wasser über den Kopf geschüttet, muss aber mit uns weiterreiten. Ist ja weit und breit nix. Bei der größten Mittagshitze machen wir endlich Halt. An sehr schönen Sanddünen unter einem drei Meter hohen Busch krabbeln wir in den Schatten. Schnell hat Tadu ein Feuer gemacht und bittet uns, Zwiebeln, Knoblauch, Kohl und Kartoffeln zu schälen und zu schneiden. Er bereitet ein sehr leckeres Curry mit Brot und Reis für alle zu. Schön mit Chili, damit wir erst richtig ins Schwitzen kommen. Schatten, ich brauch Schatten, nicht noch mehr Sonne. Die zweite Schicht Sonnencreme wird aufgetragen. Und Wasser. Ich brauche Wasser. Seit Tagen trinke ich wie ein Kamel. Naja fast, ich schaffe nicht 200 Liter in drei Minuten… „Tadu, wo sind eigentlich die Kamele? Und wie findest du sie?“ Er lacht nur, stellt sich auf eine Düne und dann, oh, dann beeilt er sich. Die Kamele sind richtig weit weg. Jetzt tut er mir leid, es sind vielleicht noch 35°C, aber ein heisser Wind ist dazugekommen. Nach einer längeren Zeit kommt er mit den drei Ausreißern wieder. Jetzt darf das Anführerkamel nichts mehr futtern, sondern muss bei uns liegen, damit die anderen zwei auch bleiben.
Wir reiten in der Nachmittagssonne weitere zwei Stunden bis zu unserem Camp an den nächsten Sanddünen. Weitere Touristen kommen als Abendausflügler dazu und gemeinsam sehen wir die Sonne in Pakistan untergehen. Jetzt wird es langsam angenehm von den Temperaturen. Es wird erneut für uns gekocht und in der Dämmerung gibt es Chai und wieder Curry mit Reis. Noch lange reden wir in der Dunkelheit mit zwei Franzosen und schauen dabei in die Sterne. Bis wir so müde sind, dass wir uns auf Feldbetten legen und still in den Nachthimmel schauen. Orion, der große Wagen, die Milchstraße, guck, eine Sternschnuppe. Das Himmelszelt ist das schönste Zelt. Und da ist sie, die Ruhe, die Einsamkeit, die ich so vermisst habe. Ganz im Hintergrund, leise, hören wir Trommeln von einer Hochzeit in einem Wüstendorf. In Indien ist man eben nie allein. Aber dieses Mal stört es nicht, sondern ist wunderschön. Die Trommeln zusammen mit dem Sternenhimmel – ein toller Film.
Gabi und Frank
März 17, 2018 — 9:34 am
Ich freu mich schon, wenn ihr im nächsten Jahr euern illustrierten Reisebricht von dem – Ost nach Ost – auf den Markt bringt. Den werde ich auf jeden Fall mit Begeisterung lesen.
Alles Gute von Frank aus Berlin
Conny
März 18, 2018 — 7:50 am
Lieber Frank,
Ein Buch? Ach nö. Da müssen wir ja soviel schreiben. Ich glaube, da sind wir zu faul. 🙂
Liebe Grüße aus Agra
HL
März 17, 2018 — 3:00 pm
Gratulation zu den Bildern von außergewöhnlicher ästhetischer Schönheit (meine ich wirklich ernst). Na ja, ist schon seltsam, ihr bei 37°C unterwegs, während in Leipzig das Schneechaos herrscht und der Bahnhof gesperrt werden muss!! Liebe Grüße und weiter viel Spaß.
Hannelore
Conny
März 18, 2018 — 7:55 am
Liebe Hannelore,
Ja, wir lesen immer auch deutsche Nachrichten mit. Ein bißchen verrückt spielt das Wetter in Deutschland schon. Es ist lange her, dass es Schnee im März in Leipzig gab, oder?
Liebe Grüße aus heute nur 32 Grad in Agra
Conny
März 18, 2018 — 7:47 am
Wer Lust hat und wen es interessiert, auf ARD und YouTube kann man eine Doku über die Wüste und die Frauen in Rajasthan sehen. „Prinzessinnen von Rajasthan“
https://youtu.be/fH-HM1azKgk